Mittwoch, 16. August 2023

Briefe an einen Unbekannten -8-

Lieber Opa,

ich komme mit den Briefen kaum noch hinter den Ereignissen her. Was hier inzwischen geschehen ist, wird Dich zum Staunen bringen. 

M. N., die Heimatforscherin, und ich – wir nennen uns inzwischen gegenseitig Miss Marple. Und neulich haben wir uns vorgestellt, Du und Dein Arbeitgeber Robert Nacke, Ihr würdet dort oben auf einer Wolke sitzen und Euch eins ins Fäustchen lachen. „Ha“, sagst Du zu Robert, „heute haben wir sie aber wieder schön an unseren Fäden herumzappeln lassen. Lass es uns in kleinen Abschnitten tun, damit sie lange ihren Spaß an uns haben.“  


Du musst ein ziemlich humorvoller Mensch gewesen sein. Es gibt Fotos von Dir, auf denen Du ziemlich verschmitzt in die Welt schaust. Aber Du hattest auch eine dunkle Seite, so wie jeder andere Mensch auch.

Nun, was geschah nach dem Ablichten der SW-Fotos aus Deinem Langenhof-Album? 

Ich schickte sie alle auf einer unsichtbaren Datenautobahn an die Heimatforscherin. Ich bin sicher, Du hättest nichts dagegen gehabt, denn sonst hätte das gar nicht geklappt. Mir scheint fast, Du wolltest es so und hast ganz früh die Weichen für mich gestellt. Ein ganz schöner Schlawiner bist Du! 

M. N. ist nicht nur im Vorstand ihres Heimatvereins, sondern auch Mitglied der weltweiten Gemeinschaft „MyHeritage“. Ihre Mitgliedschaft besteht schon an die zehn Jahre. „MyHeritage“ nenne ich für Dich jetzt einfachheitshalber mal Institution, denn die neuzeitlichen Begriffe Portal und Internet zu erklären, kostet einfach zu viel Zeit. Was also in dieser Institution alles möglich ist, das konnte ich selbst kaum glauben. M. N. ließ dort all Deine Schwarzweißfotos aus dem Langenhof-Album in Farbe umsetzen. Ach hättest Du zuschauen können, als ich mir die Bilder auf meinem großen Bilderrechteck plötzlich in Farbe ansehen konnte! „MyHeritage“ hatte die Fotos nicht nur farbig gemacht, sondern auch schärfer, kontrastreicher.


Eines der Fotos verursachte mir eine regelrechte Gänsehaut. Ich schaute Dir so direkt ins Gesicht, dass ich dachte, ich würde träumen. Ich las Dein ganzes kurzes Leben darin. Deinen Ernst, Deine Melancholie, Deinen Ehrgeiz, Deine Güte, Deine Freundlichkeit, Deine Moral, Deine Disziplin, Deinen Tiefsinn, Deine Nachdenklichkeit. Deinen Humor konnte ich in dem Bild nicht erkennen. In diesem aber doch:


Du warst erst zwanzig Jahre alt und gingst tagein tagaus mit einem Hut auf dem Hof umher. Immer adrett gekleidet mit Hemd und Krawatte. Ein ansehnlicher Herr warst Du! Wie ein kerniger Landwirt hast Du nicht ausgesehen. Obwohl Du Kind einer Bauernfamilie warst, von der ich bis heute nicht viel weiß. Wie war Dein Vater, der denselben Vornamen trug wie Du? Wie war Deine Mutter? Von beiden habe ich keine Fotos. Sie bleiben in der Dunkelheit der Vergangenheit verborgen. 

 

Dein Album war wie ein kostbarer Schatz für mich, vor allem für M. N., die nun Material für ihre Ausstellung hat. Natürlich zeigte sie den ältesten Heimatvereinsmitgliedern die Fotos, die sich mithilfe der Bilder an Schilderungen ihrer eigenen Eltern erinnerten, die dort auf dem Hof teilweise sogar gearbeitet hatten. Davon werde ich beim nächsten Mal erzählen. Wie schade, dass Du mir keine Fragen beantworten kannst.

Bis bald, Deine einzige Enkelin Ulrike

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