Freitag, 23. Juli 2021

Spielen in den 50er- und 60er-Jahren - Teil 3 B - Die Puppenstube

Um an der letzten Folge neu anzusetzen:

Auch die Puppenkleider müssen alle modischen Details besitzen und die Puppenmöbel dürfen sich – bis auf die Größe – nicht viel von richtigen Möbeln unterscheiden. Vor allem muss so eine kleine Puppenstube all die Einzelheiten eines großen Zimmers aufweisen: winzige Blumenstöcke und Beleuchtungskörper, Tischdecken, Teppiche, Vorhänge
 
Nun hatte ich auf dem Terrassentisch alle geputzten Möbelchen einer Fotosession unterzogen, die Trödler waren wieder aus dem Haus, nachdem sie uns sogar Gartentisch und -stühle  weg- und zum späteren Verkauf mitgenommen hatten. Die Trauerrednerin verabschiedete sich ... und ich freute mich auf die Zeit auf dem Dachboden, wo ich nun die Möbel in die vorher grob geputzte alte Puppenstube setzen wollte.
 
 
 
Das war schnell getan.
 
Ich schaute mir das Ergebnis aus heutiger Sicht als Erwachsene an. Diese Retrotapete! Der Gardinenstoff aus den 50er-Jahren! Sogar einen echten Linoleumfußboden hatte meine Puppenstube. So wie wir ihn damals in der ganzen Wohnung hatten. Der Bohnerbesen hatte daher seinen festen Platz im Besenschrank. Mein Bruder machte mich darauf aufmerksam, dass es gar kein Besen sei. Stimmt ja!
 
Als wir klein waren, wurde der Fußboden fast täglich gefegt. Wo Kinder leben, fallen viele Krümel auf den Boden. Er wurde "nebelfeucht" gewischt zur Entfernung etwaiger Flecken. Und da er bei diesem Prozess nach und nach stumpf wurde, musste er immer wieder mit Bohnerwachs versiegelt und anschließend fleißig gebohnert werden. 
 
Ach, wie sehr erinnert mich das an meine erste Schule, in der mir beim Betreten des Gebäudes dieser Bohnerwachsgeruch von den Fluren und aus allen Klassenräumen entgegenströmte! Schule roch immer nach Bohnerwachs.

Einen Bohnerbesen habe ich doch tatsächlich nicht mehr im Haus meiner Eltern gefunden, obwohl sie sonst ja wirklich alles aufgehoben haben. Vermutlich waren sie stolz, in ihrem eigenen Haus überall Teppich zu haben, den man mit dem guten Vorwerksauger pflegen konnte. Ein Teppichboden - auch der von Vorwerk - fürs ganze Leben. Hochflorig, hochwertig, trittfest und einfach schön. Da wurde dann noch ein Berberteppich obendrauf gelegt, während die Ledersessel mit Decken geschützt wurden. Alles wurde luxuriöser in den 70ern!
 
 
Wie primitiv war dagegen doch die Einrichtung meiner Puppenstube! Hier wurde noch gefegt und gebohnert. 
 
Nun war also alles eingerichtet. Zumindest mit den Utensilien, die noch vorhanden waren. Und dann ... ja, dann ... wollte ich die Bewohner ins Haus einziehen lassen. Meine Biegepüppchen!!! 
 
Und die sahen etwa so aus wie diese:
 
 
Quelle: https://www.puppenhaus-welt.de/
 
 
Ich habe sie geliebt, weil sie eben alles darstellen konnten, was mir gerade in den Sinn kam: Die Geschirr abwaschende Mutter am Spülstein, den Vater, der lässig in seinem Cocktailsessel vor seinem Radio saß und Musik hörte, die zwei Kinder, die am Küchentisch saßen und Schularbeiten machten. Ja, das Leben war damals sehr geschlechterspezifisch. Zu der Zeit war das alles gut und richtig.
 
Ich freute mich also darauf, eine Spielszene darzustellen (vielleicht sogar mit einer der heutigen Zeit angepassten Rollenverteilung) und war ganz gespannt auf Papa, Mama und die zwei Kinder. Die müssten doch auch in dem Karton mit dem (mit dem Schriftzug "Puppen" versehenen) Klebeband sein. Das ich ja schon vor der Fotosession mit den Möbelchen sorgfältig entfernt und weggeworfen hatte. Ein kurzer Blick auf den ganz oben liegenden Strampelsack meiner Babypuppe Kläuschen hatte mir die Gewissheit gegeben, in diesem Karton alles wiederzufinden, was zu meinen Puppen gehörte. 
 
Nur ... man erinnere sich: 
An diesem Tag waren noch mehr Menschen im Haus. Was zu einem kleinen Verhängnis führte, ...

Ich drehte mich also nach dem Einrichten der am Boden stehenden Puppenstube um, wollte nach dem hinter mir vermuteten Karton greifen - griff aber ins Leere. Nanu? Hier hatte doch eben noch der große Puppenkarton gestanden? Ich guckte in alle Richtungen - nichts! Er war einfach nicht mehr da. Mir schwante Trauriges ... die Trödler hatten ihn doch nicht etwa mitgenommen? Den Karton mit all meinen schönen Puppen, auf deren Wiedersehen ich mich so sehr gefreut hatte? Ich suchte noch den ganzen Bodenraum ab, fand zwar in all dem herumstehenden Krempel alles Mögliche, nur nicht mehr den von mir ersehnten Karton .

Shit happens, dachte ich, ja, hier soll ich wohl mal wieder das Loslassen lernen, (was meine Eltern so gar nicht konnten).
 
So blieb das Stübchen unbewohnt und ich wende mich jetzt wieder der Einrichtung zu.
 
Alle Lampen konnten - wie im echten Leben - ein- und ausgeschaltet werden. Auf dem kommenden Foto ist das Kabel an der Tütenstehlampe zu erkennen, das man mit einem kleinen Stecker an die Hauselektrik anschließen und mit einem Schalter anknipsen konnte. Dieser befindet sich vorne rechts an der Wand. Genau hinschauen: Es ist ein weißer Schalter mit einem winzigen Zugbändchen.


 
Und ich höre mich selbst noch sagen "Och, wie niedlich!", als ich die Puppenstube geschenkt bekam, an der mein Vater viele Stunden gebastelt hatte.
 

Die kleinen Sessel empfinde ich heute eher wie Strandliegesessel in einer südländischen Cocktailbar denn als bequeme Wohnzimmersessel. Ob es keine anderen gab? Oder sollten sie dem Cocktailsessel entsprechen, der auch im damaligen Wohnzimmer stand?
 
 
Hier der real existierende Cocktailsessel im Modell - oh, schon wieder ein Aufhänger für ein neues Thema: Dem Inschinör ist nichts zu schwör (Mein Vater und seine Bastelleidenschaft). Das kommt noch ... versprochen!
 
 

 
Nun habe ich inzwischen die im Nachlass gefundenen Möbelprospekte studiert - und siehe da! Auf einem Foto ist GENAU dieses Modell von Wohnzimmersitzmöbel zu sehen. Hier der Beweis:
 
Aus einem Möbelprospekt der Firma String - im Hintergrund die kunstuerheberrechtlich geschützten Stringregale
 
Es war ja überhaupt die Zeit der String-Möbel, die sich durch Leichtigkeit und Durchsichtigkeit auszeichneten. 
 
Von außen hatte mein Vater ein Blumenfenster angebaut. Auch das war in den 50er-Jahren in Mode gekommen. Wer etwas auf sich hielt, baute ein solches Fenster in sein Eigenheim. Sind sie nicht schön, die gedrehten Dekostangen in der Ecke?
 
 
 
Nachweisen kann ich diese architektonische Besonderheit wiederum mit einem Büchlein aus der damaligen Zeit. Es wurde verlegt von der "Westfälischen Landes-Bausparkasse" und enthält Ideen zum Hausbau in Fotos und Texten. Daraus drei Scans:
 



Diese Fenster wurden aus der Außenbegrenzung des Hauses herausgezogen und innen baute man einen Trog für Blumen davor, der in den Raum hineinragte. Der ganze Trog wurde mit Erde gefüllt und die Blumen pflanzte man direkt hinein. So sparte man sich Töpfe und Umtöpfe und das Fenster bekam den Charakter eines kleinen botanischen Gartens.
 
Und nun gehört ans Ende dieses Blogposts natürlich noch ein historisches Foto, das alles zeigt, was damals noch zu meiner Puppenstube gehörte. Ich lasse dieses Foto mal als eine Art Wimmelbild für sich sprechen. Anklicken lässt es in voller Größe erscheinen. Da ist richtig Leben drin!
 

Sonntag, 4. Juli 2021

Spielen in den 50er- und 60er-Jahren - Teil 3 A - Die Puppenstube

"Ich habe sie gefunden - deine Puppenstube! Aber ich kann jetzt nicht mehr, bin ziemlich groggy von der Kramerei hier auf dem heißen Dachboden."

So oder ähnlich lautete die auf meinem Handy angezeigte frohe Botschaft meines Bruders, der an diesem Tag mal ganz allein die Dinge meiner Eltern auf links drehte, um vor der endgültigen Entrümpelung alles herauszuholen, was ihm lieb und teuer war.

Wir hatten einen völlig unterschiedlichen Fokus angesetzt. Er wollte seine alte Eisenbahn, Phonogeräte, die Eisenbahn unseres Vaters, Werkzeug aus dessen Werkzeugkeller mitnehmen, ich hatte es eher auf alte Briefe, Familienfotos und Dokumente der Altvorderen abgesehen.

So kamen wir uns überhaupt nicht in die Quere.

Nein, ich wollte kein altes Spielzeug mitnehmen. Abgesehen davon, dass die Dinge aus meinem Elternhaus einen unangenehm muffigen Geruch ausströmen, wie man ihn aus alten Häusern kennt, fragte ich mich auch, was ich mit den Sachen heutzutage machen sollte. Selbst, wenn es Enkelkinder gäbe, würde ich ihnen solches Spielzeug nicht anbieten wollen.

Aber ... die Erinnerungen! Sie werden noch ein letztes Mal aufgefrischt, wenn man seine alten Dinge nach Jahrzehnten wiederentdeckt und noch einmal anschaut.

Mein Herz schlug höher - ich würde meine alte Puppenstube also tatsächlich noch einmal treffen!

"Wo genau ist sie denn?", fragte ich daher meinen Bruder, von dem ich meinte, er müsse mein freudiges Herzklopfen hören können.

"Hinten in der abschließbaren Kammer auf dem Dachboden. Ich habe sie aber nicht hervorgeholt. Ich bin mit meinen Sachen durch. Aber du wirst sie schon finden."

So war der erste Weg beim erneuten Besuch meines nun unbewohnten Elternhauses der zum Dachboden. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen.

An diesem Tag waren noch mehr Menschen im Haus. Was zu einem kleinen Verhängnis führte, das mich das Loslassen lehrte. (--> Teil 3 B)

Da war zunächst das Trödlerehepaar, das mein Bruder eingeladen hatte. Sie haben in unserer Heimatstadt einen Laden und haben - bedingt durch Corona - seit Weihnachten kaum etwas verkaufen können. Sie sollten sich herausnehmen, was sie noch für verkäuflich hielten. Sie kamen an diesem Tag schon zum zweiten oder dritten Mal. Dann kam noch die Frau, die die Trauerrede am Grab meiner Mutter gehalten hatte. Ihr wollte ich als Dankenschön noch etwas Persönliches zukommen lassen, daher trafen wir uns auf der Terrasse meines Elternhauses.

Ich öffnete die Haustür, noch waren wir allein, mein Mann und ich. Flott sprang ich die Treppe zum Dachboden hoch, öffnete die Tür zu der Kammer, wo ich das ersehnte Objekt zu finden erwartete.

Mein Bruder hatte schon sehr viel herausgeräumt und in die Garage geschleppt. Aber hinten links in der Ecke - dort sollte ich meine Puppenstube finden.

Ich musste noch einige Kartons wegräumen ... und dann sah ich sie!!! Ach, das gute alte Stück - so verdreckt! Ganz ohne Möbel, die in einer Puppenwiege aus Holz, die ein ganzes Zimmer der Puppenstube ausfüllte, zusammengepfercht waren!

Nein, so wollte ich kein Foto von meiner guten alten Stube machen. Ihr wollte ich eine anständige Fotosession bereiten!

Also nahm ich die Holzwiege mit den Möbelchen heraus, um sie auf die Terrasse  mitzunehmen und ... kam an einem hohen Karton vorbei. Er war mit Packband zugeklebt, das groß mit Edding beschriftet war: Puppen - las ich. Ich zog neugierig das Packband mit der Aufschrift ab, öffnete den Deckel und sah an oberster Stelle einen mir bekannten Puppenstrampelanzug. Kläuschen! dachte ich und freute mich auf ein Wiedersehen mit meinen Puppen, an erster Stelle meinem Pillerbaby Kläuschen. Auch die Biegepuppen aus der Puppenstube erwartete ich in diesem Karton.


Doch eins nach dem anderen ...

ich wollte mich ja zuerst meiner Puppenstube und den Möbelchen widmen. Gleich sollte außerdem die Trauerrednerin kommen. Auch die Trödler würden bald klingeln.

Aus der Putzkammer holte ich eine Flasche Sidolin, dazu Küchenkrepp, um die Möbelchen einer Reinigung zu unterziehen. Dann stellte ich sie gruppiert auf den Terrassentisch und machte einige Fotos:

Wie sehr doch die Puppenmöbel der 50er- und 60-Jahre der tatsächlichen Einrichtungsmode entsprechen! Nierentischchen, Tulpenlampe, Cocktailsessel. Solche oder ähnliche Möbel bevölkerten auch unsere Wohnung zu der Zeit.

Ich schaue nach Beweisen - ja, da sind sie doch, die Tütenlampen! Entdeckt auf einem alten Foto von 1958, das im ersten Wohnzimmer meiner Eltern aufgenommen wurde:

 

Und dann die obligatorische chinesische Vase. Wer etwas auf sich hielt, hatte dieses Monstrum in der Wohnung stehen. Verbunden mit der ständigen Angst, sie könne zerdeppert werden. Nein, meine Eltern hatten kein solches Statussymbol, aber in der Puppenstube konnte man doch mal Luxus darstellen. 

 
 
Zum Vergleich mal eine im Internet gefundene Vase:


 
Es geht weiter mit den Küchenmöbeln. Gelb mit blauer Arbeitsplatte waren sie, aus schlichtem Holz in schlichten Formen gefertigt. Dazu gehörte ein einfacher Plastikherd und ein Besenschrank.


Der Eckschrank fasziniert mich noch heute. Auch ich habe solch einen Unterschrank in der Küche, in dem die Töpfe aufbewahrt werden. Leider fand ich das Puppengeschirr nicht mehr. Aber vielleicht läuft es mir ja auch noch über den Weg.
 
Der Oberschrank ist mit einer doppelten Schiebetür aus Plastik versehen - fein durchsichtig gestreift, so dass man sehen kann, was sich hinter den Türen verbirgt. Prägen uns diese Spielsachen wohl für unser Erwachsenenleben? Ich habe auch heute einen Hochschrank mit Glastüren, die den Inhalt preisgeben.
 
Ich öffnete den Besenschrank. Nein!!! Das hatte ich nicht mehr in meinem Erinnerungsspeicher ... ein richtiger Besen mit Gelenk - wie modern! Und Kehrblech mit Handfeger. Wie niedlich!




Ob ich die Puppenstube überwiegend mit Handfeger und Kehrblech gereinigt habe? Ich musste mich ja nicht - wie in der Realität - dafür bücken, denn die Puppenstube stand früher auf Beinen und ich konnte bequem mit meinem Kinderstühlchen davorsitzen und spielen. Jedenfalls sieht nur der Handfeger so struppelig aus, dass man denken könnte, er sei allein verwendet worden. 


Wie es damals in der ersten Wohnung noch zuging, nicht allzulange nach Kriegsende, das sieht man an dem Heizlüfter auf der Kommode. Eine Zentralheizung hatte die Wohnung unterm Dach des zweieinhalbstöckigen Mietshauses noch nicht, die kam erst viel später. Und es war auch selbstverständlich, dass zwei Kinder sich ein Zimmer teilten. Ob wohl das meinen Bruder und mich so zusammengeschweißt hat?
 
Das Spielzeug war überschaubar, es wurde vielseitig verwendet und zu Weihnachten, wenn es etwas Neues gab, wurde ein Teil des anderen Spielzeugs für eine Weile in den Speicher verlagert, um später nach und nach wieder hinzugeholt zu werden.
 
Aber ich schweife ab ... 
zurück zu den zwei Räumen der Puppenstube!

Zur Küche gehört ein Tisch mit vier Stühlen für die klassische Famile, wie wir eine waren: Vater, Mutter, Tochter, Sohn. 


Heute gibt es bei mir zuhause einen lang ausgezogenen Esstisch, auf dem man großzügig auch andere Dinge liegen haben kann, außer das gerade auf den Tisch gebrachte Geschirr und Essen. Da finden sich Kerzenleuchter, Serviettenstapel, Lektüre und manchmal noch mehr. 

Damals war der Küchentisch ein Funktionstisch für die ganze Familie, Er wurde zum Essen gedeckt, danach abgedeckt. Nach dem Handabwasch des Geschirrs - Abtrocknen war Pflicht - wurden am Küchentisch Schularbeiten gemacht. Auch das Spielen fand insbesondere im Winter dort statt, denn in der Kühe stand ein Kohleofen. Wie klein kommt mir heute unser damaliger Küchentisch vor, der hinter einem Südseitenfenster mit Balkon davor steht. Wie sinnvoll - eine Küche im Süden! 
Jeder hatte seinen immer gleichen Platz: Die Eltern an der Längsseite, wir Kinder an den kürzeren Seiten einander gegenüber. Mit Blickkontakt! Die Lachanfälle beim Essen werden wir wohl nie vergessen, wenn etwas passierte, was nicht sein durfte und wir uns nicht beherrschen konnten. Verschlucken inklusive. SCHLUSS JETZT! 
Und der Vater blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum ...
 
 
Der Küchenschrank hatte in bequemer Spielhöhe einen Auszug, an dem mein Bruder und ich unsere Holzschäfchenwiese aufbauten oder mit Steckbausteinen spielten. Die Liebe war groß, wie man sieht:
 
   
 
Auch die Steckbausteine fand ich noch auf dem Dachboden. Erstaunlich, dass meine Eltern all das mehr als 60 Jahre aufgehoben haben!
 
 
Mein Brüderchen hat wohl in dem Alter neu wachsende Zähnchen mit Steckbausteinen beruhigt, wie es scheint. Die Steine waren aus einem weichen Plastikmateriel. Über Giftigkeit von Weichmachern hat sich damals wohl noch kaum jemand Gedanken gemacht. 

Die Küche war das Lebenszentrum der Familie. Man war bei der Mutter, wenn diese in der Küche kochte, bügelte, mit der Strickmaschine strickte, Kleidung nähte, Plätzchen backte, einen Teppich knüpfte (dieser zweite allerdings musste im Wohnzimmer gefertigt werden), 
 


ihren Schneiderlehrgang absolvierte und vieles mehr. Unsere Mutter war ein Allroundtalent. Und das ohne Bezahlung. Es war die Zeit, in der ein Ehemann mit Stolz verkündete, seine Frau BRAUCHE nicht zu arbeiten. Doch bekam sie die ihr gebührende Anerkennung? Noch bis 1977 brauchte eine Ehefrau die Genehmigung ihres Mannes, wenn sie außer Haus arbeiten wollte! Undenkbar - da war ich schon 23!
 
Meine Puppenstube lädt nun weiter zum Erzählen ein ...
 
und genau das ist es ja, was uns an diesen alten Dingen so fasziniert: Wir aktivieren unsere inneren Bilder, unsere Gefühle, unsere Ängste und Sorgen, unsere Freuden der Kindheit. Wenn ich die Dinge noch einmal in die Hand nehmen kann und die Augen schließe, dann fühle ich mich wieder so wie damals, als all das für mich noch neu war und erforscht werden wollte. Ohne viele Worte. Einfach praktisch handelnd. Damit umgehend. Das Leben der Großen in Miniaturformat nachahmend.   

Nun wende ich mich wieder dem Leben in Kleinformat zu und vergleiche es gern weiter mit dem Leben unserer damaliger Vorbilder, den Eltern.
 
Um das Ganze hier aber in einem Post nicht zu langatmig zu machen, gönne ich meinen Lesern und Leserinnen jetzt mal eine Pause (mir übrigens auch, denn diese Zusammenstellungen dauern ganz schön lange - ich suche nach den passenden Bildern aus meinem riesigen Vorrat, bearbeite die Fotos, schreibe, setze die Fotos ein, korrigiere, fühle in mich hinein, denke nach, schreibe, schaue mir die Vorschau an - das kann gerne mal zwei Stunden am Stück dauern).

Bis zum nächsten Mal also ...

Worum wird es gehen?

Immer noch um die Puppenstube ... es gibt noch mehr zu erzählen.

Man erinnere sich an meinen Schreibanlass:

Auch die Puppenkleider müssen alle modischen Details besitzen und die Puppenmöbel dürfen sich – bis auf die Größe – nicht viel von richtigen Möbeln unterscheiden. Vor allem muss so eine kleine Puppenstube all die Einzelheiten eines großen Zimmers aufweisen: winzige Blumenstöcke und Beleuchtungskörper, Tischdecken, Teppiche, Vorhänge …

Montag, 28. Juni 2021

Spielen in den 50er- und 60er-Jahren - Teil 2

Heute möchte ich von meiner eigenen Kindheit und unseren Spielgewohnheiten erzählen, dabei Bezug nehmen auf die Textpassagen aus der im letzten Post vorgestellten Zeitschrift von 1958.

Es scheint tatsächlich so zu sein, dass mein Bruder und ich für ein Foto animiert wurden, unser gesamtes Spielzeug auf dem Fußboden zu arrangieren. Lustig!

Ich kann gar nicht anders, als dieses anzunehmen. Zum Vergleich hole ich nochmal das Foto aus der Zeitschrift dazu:


 

Dabei scheinen wir (oder unsere Eltern, die ja unser Vorbild waren) mehr Wert auf eine ansprechende Ordnung unserer Sachen gelegt zu haben, als es in der Zeitschrift der Fall war: Bei uns wurden die Autos alle vorne arrangiert, die Puppen eher im Hintergrund. Meinen Puppen bin ich bei der Räumaktion unseres Elternhauses leider nicht noch ein letztes Mal begegnet. Das ist einem kleinen Missgeschick zu verdanken, von dem ich später noch erzählen möchte.

Schulkinder spielen gerne mit wirklichkeitsgetreuem Spielzeug.


Wo finde ich diese Aussage bei meinem Spielzeug bestätigt? Da war doch mal ... jaa! Ein Puppenherd. Ihn fand ich in der hintersten Ecke des Dachbodens in einem Karton. Inklusive Kochbüchlein mit todlangweiligen Dr.-Oetker-Rezepten. Ich nahm dieses Büchlein mit nach Hause und dachte, ich würde doch dies und das vielleicht mal ausprobieren wollen. Aber nach dem Lesen von nur drei Rezepten war mir klar: Das kann gar nicht schmecken! Es waren so einfältige Zusammensetzungen von Zutaten, dass man nicht einmal Fantasie brauchte, um sich vorzustellen, dass das Ergebnis nicht schmecken würde.


 

Ob ich damals auf diesem Herd etwas gekocht habe? - Ja, ich erinnere mich noch, dass ich eine kleine Guglhupfform hatte, die genau in den Backofen passte. Dazu gab mir meine Mutter beim Backen ihres großen Kuchens einen Löffel Teig ab und der wurde dann tatsächlich im Puppenherd gebacken. Ob er gelungen ist? Das habe ich vergessen. Hätte ich einen richtigen kleinen Puppenkuchen aus dem Ofenrohr gezogen, hätte ich meine Begeisterung vermutlich nicht vergessen. Also hat's wohl eher nicht geklappt.

Viel lieber hätte ich wohl beim richtigen Backen mitgemacht, aber das wurde nur sehr eingeschränkt erlaubt. Kinder machen so viel schmutzig und können sich bei solchen Tätigkeiten verletzen. Ja ... Ängstlichkeit regierte meine Kindheit! So sieht man dem Herd den Gebrauch auch kaum an. Große Freude scheine ich damit auch nicht gehabt zu haben.Ich erinnere mich nur ganz schwach daran, dass ich in zwei kleinen Töpfen Wasser erhitzt habe. Nicht ohne Warnhinweise meiner Mutter selbstverständlich!

Kleine Mädchen, die auf den massiven Herden ihrer Puppenküchen kochen, Babypuppen baden oder Waren im Kaufmannsladen verkaufen, wollen dazu echten Zucker, Reis, Kakao, Seife, Zahnpasta oder Hautcreme. 

Genau - echte Zutaten wie im echten Leben! Oder unechte Zutaten, die man mit Fantasie zu echten erklärte. Wie hier im Sandkasten bei meinem Opa:

 

Da spielte es überhaupt keine Rolle, dass ich den Sand nicht essen konnte, die Puppe konnte es doch!

Aber ich habe noch mehr solches naturgetreues Spielzeug auf dem Dachboden entdeckt. Den Namen Keimax* dieses kleinen Staubsaugers hatte ich völlig vergessen. Aber nicht den Geruch. Ich war fast enttäuscht, dass das Gerät ihn verloren hat, denn inzwischen riecht es mehr nach altem Dachboden als nach Elektrizität - wie damals. Oder dachte ich nur, es sei die Elektrizität, die daran roch? Der Staubsauger funktionierte jedenfalls - damals. Er war mit Batterie betrieben, war aber nur in der Lage, ganz leichte Fusseln aufzusaugen. Ja, da ist er jetzt gerade wieder - der Geruch. Im hintersten Geruchstübchen meines alten Gehirns. Gerüche scheinen sich dort ziemlich fest einzunisten.

Ob er heute noch funktionsfähig wäre, wollte ich gar nicht wissen. Mir war wichtiger, nach anderen Dingen zu schauen, so gab es immer nur Fotos zur Erinnerung.

*Keimax für maximale Keimbekämpfung? Irgendwas muss sich der Namengeber doch dabei gedacht haben ...

 


 
Beim Öffnen des Kartons mutierte ich wieder zum Kind. Darin lag nämlich ein kleines verlorenes Wesen und schaute mich mit sehnsüchtigen Augen an, als würde es sagen: Nein! dass du mich endlich wiedergefunden hast!
 
Diese Begegnung rührte  mich so sehr, dass das kleine Wesen - ein Mini-Koalabär von Steiff - sich unter das große Veluxfenster setzen musste, um die Restzeit der Hausentrümpelung zu überwachen. 



Die nächste Folge wird sich mit folgenden Inhalten befassen:

Auch die Puppenkleider müssen alle modischen Details besitzen und die Puppenmöbel dürfen sich – bis auf die Größe – nicht viel von richtigen Möbeln unterscheiden. Vor allem muss so eine kleine Puppenstube all die Einzelheiten eines großen Zimmers aufweisen: winzige Blumenstöcke und Beleuchtungskörper, Tischdecken, Teppiche, Vorhänge …

Heute - am 28. Juni 2021 - hat die endgültige Entrümpelung meines Elternhauses begonnen. Sie wird etwa eine Woche dauern. Wir haben das einer Firma überlassen. Es wäre für uns zu viel.  Das Feinsortieren hat von uns schon insgesamt mehr als 200 Stunden Arbeit gefordert. Und das Weitersortieren der mitgenommenen Dinge, Dokumente, Bilder, Briefe etc. wird noch ein Vielfaches an Zeit in Anspruch nehmen.

Eine Träne im Knopfloch ... aber auch das geht vorüber ...

Freitag, 18. Juni 2021

An einem heißen Sommertag - Heuernte? - Heuernte!

Das Thermomter zeigt 33°C! Eigentlich ist es draußen heute gar nicht auszuhalten. Trotzdem habe ich mir eine Tasse Tee mit nach draußen auf die Terrasse genommen und will ein wenig in einer Zeitschrift lesen.

Ich habe gerade das Editorial durchgelesen, als ein herrlicher Duft unter meiner Nase herzieht - HEU!

Ja, denke ich, dies ist die Zeit der Heuernte! Oder???

Da kommt mir als Enkelin einer Bauersfrau eine Idee.

Haben meine Vorfahren zu dieser Zeit das Heu geernet? Wie kann ich das herausfinden? 

Ich will es gleich verraten ...


Beim Durchstöbern des Nachlasses meiner Eltern habe ich diese historischen Kalender gefunden. Ich habe ja zuerst laut geschimpft, als ich sah, wie viele Jahrgänge davon noch vorhanden sind. Der älteste ist aus dem Jahr 1909, also 112 Jahre alt! Wie kann man etwas so lange aufbewahren? Kalender, in denen die Landwirte ihre täglichen Termine festgehalten haben - was will man damit?

Die Kalender verbreiten einen sehr unangenehmen Geruch, denn sie haben nicht nur bei meinen Eltern ihr Dasein auf dem Dachboden gefristet, sondern ganz sicher schon auf dem Dachboden des Bauernhofs, der meines Vaters Heimat war. Oh je!

Doch dann habe ich mir die schön gestalteten Büchlein angesehen. Wie liebevoll - die Prägung auf der Vorderseite! Ich nehme den ältesten Kalender in die Hand, blättere ihn ehrfürchtig auf, schnuppere daran. Angesichts ihres Alters habe ich plötzlich keinen Ekel mehr vor diesem Geruch, hat er sich doch über ein ganzes Jahrhundert hinweg entwickelt!

Erinnerungen an Omas Kartoffelkeller steigen auf, an die alte Wäschekammer unterhalb der Treppe zum Dachboden, wo die Leinenwäsche mit der Kaltmangel geglättet wurde.  Ich sehe mich als kleines Kind die Stiege zum Dachboden hochkraxeln, die Hände immer drei Stufen höher im Klammergriff, um nicht herunterzufallen. Dann ... nachdem man den Dachboden durchschritten hatte, auf dem nicht selten tote Mäuse in Mausefallen vor sich hinverwesten, kam man in einer kleinen Kammer im Giebel an, in der noch früher eine Familie gewohnt hatte, die als Mitarbeitende auf dem Hof dort ihre Unterkunft bekommen hatte. Und dort - ja, dort betrat ich die für mich größte Schatzkammer des Hofes: Das Zimmerchen mit dem alten Spielzeug meiner beiden Cousinen, die 12 bzw. 14 Jahre älter sind als ich. Ja, sie leben noch. Und manchmal erzählen sie mir von den Schätzen, die sie selbst noch heute finden. Alte Briefe von "Mutti", Fotos, Dokumente - wie die Bilder sich gleichen!

Nun ... dieser muffige Geruch bekommt natürlich angesichts solcher netten Erinnerungen, die mit Gefühlen von Spielfreude verknüpft sind, einen ganz anderen Stellenwert. 

Wie fing ich dieses Blogpost an? Worum ging es eigentlich?

Richtig - es ging um landwirtschaftliche Gerüche - um Heu!

Meine Idee:

Ich stelle jetzt hier die Eintragungen des 18. Juni - also des Datums von heute - über insgesamt (zunächst) 15 Jahre zusammen. Die Kalender sind nicht lückenlos vorrätig, außerdem hat meine Oma offenbar ein Jahr vor ihrem Tod (1970) mit dem Eintragen aufgehört. Der letzte Kalender ist jedenfalls mit 1969 beschriftet. Die anfänglichen Einträge (1909) müssen von jemand anders gewesen sein. Von wem, ist mir noch nicht ganz klar. Vielleicht auch in Folge nicht von einer einzigen Person. So weit bin ich in der Familienhistorie noch nicht fortgeschritten, als dass ich dazu eindeutige Aussagen machen könnte. Das ist aber für mein heutiges Anliegen auch ohne Belang

Das wird nun ein gehöriges Stück Arbeit, die ich gerade sehr spannend finde. Was wird wohl herauskommen? Heu ... Heuernte - damals und heute ...

Der 18. Juni im Jahr

Eintragung

1909

Freitag

Westwind

Mutter und ich nach N.k. zur Eintragung von Wegegerechtigkeit

1919

Mittwoch

Warm   

Geheut

3 Fuder Heu eingefahren

Fuder = Ladung eines zweispännigen Wagens

Anbrinke in der Weide gemäht

1920

Freitag

Kleine Wiese gemäht

Runkeln verzogen und gehackt

2 Brunnenringe für W.h. geholt

1921

Sonnabend

Westwind gut Wetter

Rübsen eingefahren

Heu abgeladen

Sand gefahren

Pfahllöcher zugemacht

Hier mal ein Schriftbeispiel - es ist wirklich schwierig, die damalige Schrift zu entziffern:



1922

Sonntag

Westwind, veränderlich

1923

Montag

Westwind, heiter

Erker ausgeschachtet

Im Hafer Diesteln ausgestochen

1924 (Schaltjahr)

Mittwoch

Westwind, schön Wetter

Runkel verzogen

900 M von Stapelberg

433,? an Heine

1925

Donnerstag

Nordostwind, trübe

Kartoffel gehackt

Runkel verzogen

Nach M. gefahren

30 Ztr. Hafer

20 Ztr. Weizen

1926

Freitag

Westwind, meißt trocken

Feuerbohnenstangen gesteckt

Durch die Kartoffeln gefahren

Klar gemacht

Runkel verzogen

1929

Dienstag

 

10 000 Steckrübenpflanzen gezogen

Auf dem großen Rosenkamp gemäht

Kartoffeln geigelt und gehackt

1931

Donnerstag

Westwind, halb bewölkt

Jauche gefahren

Hof aufgeräumt

Kartoffeln gehackt

Diesteln auf den Weiden gemäht

1932

Sonnabend

Pferdekutschgeschirre geputzt

Diesteln auf den Weiden gemäht

1 Fuder Heu abgeladen

Kartoffeln gehackt

Rest Hafer gejätet

1933

Sonntag

Westwind, nachm. schön Wetter

Abends Feuerwehrfest

1934

Montag

Nordostwind, sehr warm

Weiden unterteilt

Draht gezogen, alte Einfriedung abgebaut

Obstbäume verdedelt

1936 (Schaltjahr)

Donnerstag

Ostwind, warm, schön

Kartoffeln Acker oben gehackt

Heu von Koppel IV eingefahren

Heimfahrt über Hannover


Ab 1937 – in den Vorkriegsjahren nach der Weimarer Republik wird es natürlich zunehmend prekär. Auch auf dem Lande. Das erfordert etwas mehr Vertiefung. Dem werde ich mich später widmen.

Bis hierher kann ich jedenfalls schon feststellen, dass auch damals die Heuernte – bei entsprechendem Wetter – im Juni eine Rolle spielte.

Kein Wunder, dass ich heute diesen angenehmen Geruch meiner Kindheit als Erinnerungsfessel empfand. Die weiteren Kalenderjahre (1937, 1938, 1939 und dann mit großer Lücke erst wieder ab 1958) werde ich bald folgen lassen.

Und jetzt erlaube ich mir ein schönes Abendessen (Tomaten mit Mozzarella) auf der Terrasse. Ob das Heu noch seinen Duft in der Landschaft verteilt?

Der Quittungsstapel - Erinnerungen an die Kindheit

Fotos anklicken ... deutlicher sehen! Im Jahr 2023 ... Wozu bekommt man eigentlich Quittungen? Diese Frage stellt sich mir beim Fund et...