Dienstag, 1. August 2023

Briefe an einen Unbekannten -4-

Das Zeugnis gibt Zeugnis

Lieber Opa,

Dein Haus in meinem Herzen wächst. Ich kann es kaum abwarten, Dir zu erzählen, wie ich dessen Wände erstellte und noch immer daran baue. Alles begann mit diesem Zeugnis, dessen Text ich im vorherigen Brief zu zitieren begann. Ich möchte dieses überaus hervorragende Zeugnis weiter zitieren, denn es gibt Kunde davon, was Du auf diesem Hof in der Nähe der Stadt Bielefeld getan hast:

Nebenher war er noch Vorgesetzter von fünf andern jungen Herrn, die hier die Landwirtschaft lernten. Herr B. ist sehr geschickt in der Handhabung von Maschinen, bei der Ausübung dringender Tischler- und Schmiedearbeiten u. in allen übrigen Handarbeiten. Dabei absolut zuverlässig und nüchtern u. ein angenehmer und taktvoller Hausgenosse, auf dessen Bravheit wir stets rechnen konnten.

Hier muss ich innehalten, denn ich staune über die Ausdrücke Deiner Zeit. Bravheit würde heute niemand mehr sagen. Für unsere Ohren klingt dieses Wort nach Anpassung, Hörigkeit und Unterwerfung. Und schon gar nicht käme jemand auf die Idee, die Eigenschaft eines Erwachsenen mit dem Begriff Bravheit zu benennen. Was konnte Dein Arbeitgeber gemeint haben? Ich denke, es war für ihn ein Ausdruck der Wertschätzung Deiner Loyalität ihm gegenüber. Was mir auch auffällt, ist die Erwähnung Deines handwerklichen Geschicks und Deines Technikverständnisses. Ob es das war, was Du Deinem Sohn und Deinem Enkel mit in die Wiege gelegt hast, die beide Maschinenbau studierten und Ingenieure wurden?

Durch sein sicheres, besonnenes und umsichtiges Auftreten kam er immer gut mit den Menschen aus u. erzielte dadurch u. durch sein persönliches und kraftvolles Zugreifen recht gute Arbeitsleistungen bei Leuten und Gespannen. Herr B. hat die glückliche Veranlagung, Andern ein gern anerkannter Leiter und Führer zu sein.

Für mich hat natürlich angesichts der später kommenden Jahre das Wort Führer ein Gschmäckle, aber damals wusste ja noch niemand, was sich in Deiner Zukunft entwickeln sollte. Selbst der 1. Weltkrieg lag noch in der Zukunft. Was das Lehren angeht, bist Du möglicherweise der Einzige in meiner Familie, der sich pädagogisch betätigt hat. Ob sich das bis zu mir durchentwickelt hat, die ich Lehrerin wurde?


Als ich dieses Zeugnis gelesen hatte, wollte ich natürlich wissen, wo denn eigentlich dieser Hof gewesen ist. Da fiel mein Blick auf den Stempel unten links, der mich auf eine Spur brachte. Meine detektivische Ader wurde wach! Langenhof stand dort. Post Heepen. Kreis Bielefeld. Altenhagen bei Bielefeld.

Was ich nun tat, kannst Du nicht wissen, denn diese Möglichkeit gab es zu Deiner irdischen Zeit noch nicht. Ich gab die Wörter in eine Suchmaschine ein. Davon werde ich Dir im nächsten Brief erzählen. Ich freue mich schon drauf!

Deine Enkelin Ulrike


Leser und Leserinnen äußerten sich zu diesem Brief:

Du hast eine wunderbare Möglichkeit gefunden, mit Deinem Opa zu kommunizieren und Dich ihm anhand von den gefundenen Briefen und Dokumenten zu nähern. Ich bin gespannt wie sich die Sache weiter entwickelt. (A. M.)

Eine wunderbare Kommunikation und Kontaktaufnahme! Da wächst ein Band. (lh)

Schön, wie du alte Begriffe wieder zum Leben erweckst und die Erinnerung an deinen Opa wach hältst. 🥰 (S. P.)

Ich freue mich darauf, weiter an deiner Spurensuche teilhaben zu können. (r)


Zum Begriff "Bravheit" habe ich mal das Etymologische Wörterbuch des Deutschen befragt:

brav Adj. ‘gehorsam, folgsam, redlich’

Mfrz. frz. brave gelangt in der Mitte des 15. Jhs. ins Dt., zunächst in der Bedeutung ‘geeignet, brauchbar, tüchtig’, während es zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (wohl unter erneutem roman. Einfluß) im Sinne von ‘tapfer’ geläufig wird. Diese Bedeutung tritt ebenso wie die Verwendungen ‘richtig, trefflich’ im 19./20. Jh. zugunsten von ‘gehorsam, folgsam, redlich’ zurück.

Quelle: https://www.dwds.de/wb/etymwb/Bravheit

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