Sonntag, 4. Juli 2021

Spielen in den 50er- und 60er-Jahren - Teil 3 A - Die Puppenstube

"Ich habe sie gefunden - deine Puppenstube! Aber ich kann jetzt nicht mehr, bin ziemlich groggy von der Kramerei hier auf dem heißen Dachboden."

So oder ähnlich lautete die auf meinem Handy angezeigte frohe Botschaft meines Bruders, der an diesem Tag mal ganz allein die Dinge meiner Eltern auf links drehte, um vor der endgültigen Entrümpelung alles herauszuholen, was ihm lieb und teuer war.

Wir hatten einen völlig unterschiedlichen Fokus angesetzt. Er wollte seine alte Eisenbahn, Phonogeräte, die Eisenbahn unseres Vaters, Werkzeug aus dessen Werkzeugkeller mitnehmen, ich hatte es eher auf alte Briefe, Familienfotos und Dokumente der Altvorderen abgesehen.

So kamen wir uns überhaupt nicht in die Quere.

Nein, ich wollte kein altes Spielzeug mitnehmen. Abgesehen davon, dass die Dinge aus meinem Elternhaus einen unangenehm muffigen Geruch ausströmen, wie man ihn aus alten Häusern kennt, fragte ich mich auch, was ich mit den Sachen heutzutage machen sollte. Selbst, wenn es Enkelkinder gäbe, würde ich ihnen solches Spielzeug nicht anbieten wollen.

Aber ... die Erinnerungen! Sie werden noch ein letztes Mal aufgefrischt, wenn man seine alten Dinge nach Jahrzehnten wiederentdeckt und noch einmal anschaut.

Mein Herz schlug höher - ich würde meine alte Puppenstube also tatsächlich noch einmal treffen!

"Wo genau ist sie denn?", fragte ich daher meinen Bruder, von dem ich meinte, er müsse mein freudiges Herzklopfen hören können.

"Hinten in der abschließbaren Kammer auf dem Dachboden. Ich habe sie aber nicht hervorgeholt. Ich bin mit meinen Sachen durch. Aber du wirst sie schon finden."

So war der erste Weg beim erneuten Besuch meines nun unbewohnten Elternhauses der zum Dachboden. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen.

An diesem Tag waren noch mehr Menschen im Haus. Was zu einem kleinen Verhängnis führte, das mich das Loslassen lehrte. (--> Teil 3 B)

Da war zunächst das Trödlerehepaar, das mein Bruder eingeladen hatte. Sie haben in unserer Heimatstadt einen Laden und haben - bedingt durch Corona - seit Weihnachten kaum etwas verkaufen können. Sie sollten sich herausnehmen, was sie noch für verkäuflich hielten. Sie kamen an diesem Tag schon zum zweiten oder dritten Mal. Dann kam noch die Frau, die die Trauerrede am Grab meiner Mutter gehalten hatte. Ihr wollte ich als Dankenschön noch etwas Persönliches zukommen lassen, daher trafen wir uns auf der Terrasse meines Elternhauses.

Ich öffnete die Haustür, noch waren wir allein, mein Mann und ich. Flott sprang ich die Treppe zum Dachboden hoch, öffnete die Tür zu der Kammer, wo ich das ersehnte Objekt zu finden erwartete.

Mein Bruder hatte schon sehr viel herausgeräumt und in die Garage geschleppt. Aber hinten links in der Ecke - dort sollte ich meine Puppenstube finden.

Ich musste noch einige Kartons wegräumen ... und dann sah ich sie!!! Ach, das gute alte Stück - so verdreckt! Ganz ohne Möbel, die in einer Puppenwiege aus Holz, die ein ganzes Zimmer der Puppenstube ausfüllte, zusammengepfercht waren!

Nein, so wollte ich kein Foto von meiner guten alten Stube machen. Ihr wollte ich eine anständige Fotosession bereiten!

Also nahm ich die Holzwiege mit den Möbelchen heraus, um sie auf die Terrasse  mitzunehmen und ... kam an einem hohen Karton vorbei. Er war mit Packband zugeklebt, das groß mit Edding beschriftet war: Puppen - las ich. Ich zog neugierig das Packband mit der Aufschrift ab, öffnete den Deckel und sah an oberster Stelle einen mir bekannten Puppenstrampelanzug. Kläuschen! dachte ich und freute mich auf ein Wiedersehen mit meinen Puppen, an erster Stelle meinem Pillerbaby Kläuschen. Auch die Biegepuppen aus der Puppenstube erwartete ich in diesem Karton.


Doch eins nach dem anderen ...

ich wollte mich ja zuerst meiner Puppenstube und den Möbelchen widmen. Gleich sollte außerdem die Trauerrednerin kommen. Auch die Trödler würden bald klingeln.

Aus der Putzkammer holte ich eine Flasche Sidolin, dazu Küchenkrepp, um die Möbelchen einer Reinigung zu unterziehen. Dann stellte ich sie gruppiert auf den Terrassentisch und machte einige Fotos:

Wie sehr doch die Puppenmöbel der 50er- und 60-Jahre der tatsächlichen Einrichtungsmode entsprechen! Nierentischchen, Tulpenlampe, Cocktailsessel. Solche oder ähnliche Möbel bevölkerten auch unsere Wohnung zu der Zeit.

Ich schaue nach Beweisen - ja, da sind sie doch, die Tütenlampen! Entdeckt auf einem alten Foto von 1958, das im ersten Wohnzimmer meiner Eltern aufgenommen wurde:

 

Und dann die obligatorische chinesische Vase. Wer etwas auf sich hielt, hatte dieses Monstrum in der Wohnung stehen. Verbunden mit der ständigen Angst, sie könne zerdeppert werden. Nein, meine Eltern hatten kein solches Statussymbol, aber in der Puppenstube konnte man doch mal Luxus darstellen. 

 
 
Zum Vergleich mal eine im Internet gefundene Vase:


 
Es geht weiter mit den Küchenmöbeln. Gelb mit blauer Arbeitsplatte waren sie, aus schlichtem Holz in schlichten Formen gefertigt. Dazu gehörte ein einfacher Plastikherd und ein Besenschrank.


Der Eckschrank fasziniert mich noch heute. Auch ich habe solch einen Unterschrank in der Küche, in dem die Töpfe aufbewahrt werden. Leider fand ich das Puppengeschirr nicht mehr. Aber vielleicht läuft es mir ja auch noch über den Weg.
 
Der Oberschrank ist mit einer doppelten Schiebetür aus Plastik versehen - fein durchsichtig gestreift, so dass man sehen kann, was sich hinter den Türen verbirgt. Prägen uns diese Spielsachen wohl für unser Erwachsenenleben? Ich habe auch heute einen Hochschrank mit Glastüren, die den Inhalt preisgeben.
 
Ich öffnete den Besenschrank. Nein!!! Das hatte ich nicht mehr in meinem Erinnerungsspeicher ... ein richtiger Besen mit Gelenk - wie modern! Und Kehrblech mit Handfeger. Wie niedlich!




Ob ich die Puppenstube überwiegend mit Handfeger und Kehrblech gereinigt habe? Ich musste mich ja nicht - wie in der Realität - dafür bücken, denn die Puppenstube stand früher auf Beinen und ich konnte bequem mit meinem Kinderstühlchen davorsitzen und spielen. Jedenfalls sieht nur der Handfeger so struppelig aus, dass man denken könnte, er sei allein verwendet worden. 


Wie es damals in der ersten Wohnung noch zuging, nicht allzulange nach Kriegsende, das sieht man an dem Heizlüfter auf der Kommode. Eine Zentralheizung hatte die Wohnung unterm Dach des zweieinhalbstöckigen Mietshauses noch nicht, die kam erst viel später. Und es war auch selbstverständlich, dass zwei Kinder sich ein Zimmer teilten. Ob wohl das meinen Bruder und mich so zusammengeschweißt hat?
 
Das Spielzeug war überschaubar, es wurde vielseitig verwendet und zu Weihnachten, wenn es etwas Neues gab, wurde ein Teil des anderen Spielzeugs für eine Weile in den Speicher verlagert, um später nach und nach wieder hinzugeholt zu werden.
 
Aber ich schweife ab ... 
zurück zu den zwei Räumen der Puppenstube!

Zur Küche gehört ein Tisch mit vier Stühlen für die klassische Famile, wie wir eine waren: Vater, Mutter, Tochter, Sohn. 


Heute gibt es bei mir zuhause einen lang ausgezogenen Esstisch, auf dem man großzügig auch andere Dinge liegen haben kann, außer das gerade auf den Tisch gebrachte Geschirr und Essen. Da finden sich Kerzenleuchter, Serviettenstapel, Lektüre und manchmal noch mehr. 

Damals war der Küchentisch ein Funktionstisch für die ganze Familie, Er wurde zum Essen gedeckt, danach abgedeckt. Nach dem Handabwasch des Geschirrs - Abtrocknen war Pflicht - wurden am Küchentisch Schularbeiten gemacht. Auch das Spielen fand insbesondere im Winter dort statt, denn in der Kühe stand ein Kohleofen. Wie klein kommt mir heute unser damaliger Küchentisch vor, der hinter einem Südseitenfenster mit Balkon davor steht. Wie sinnvoll - eine Küche im Süden! 
Jeder hatte seinen immer gleichen Platz: Die Eltern an der Längsseite, wir Kinder an den kürzeren Seiten einander gegenüber. Mit Blickkontakt! Die Lachanfälle beim Essen werden wir wohl nie vergessen, wenn etwas passierte, was nicht sein durfte und wir uns nicht beherrschen konnten. Verschlucken inklusive. SCHLUSS JETZT! 
Und der Vater blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum ...
 
 
Der Küchenschrank hatte in bequemer Spielhöhe einen Auszug, an dem mein Bruder und ich unsere Holzschäfchenwiese aufbauten oder mit Steckbausteinen spielten. Die Liebe war groß, wie man sieht:
 
   
 
Auch die Steckbausteine fand ich noch auf dem Dachboden. Erstaunlich, dass meine Eltern all das mehr als 60 Jahre aufgehoben haben!
 
 
Mein Brüderchen hat wohl in dem Alter neu wachsende Zähnchen mit Steckbausteinen beruhigt, wie es scheint. Die Steine waren aus einem weichen Plastikmateriel. Über Giftigkeit von Weichmachern hat sich damals wohl noch kaum jemand Gedanken gemacht. 

Die Küche war das Lebenszentrum der Familie. Man war bei der Mutter, wenn diese in der Küche kochte, bügelte, mit der Strickmaschine strickte, Kleidung nähte, Plätzchen backte, einen Teppich knüpfte (dieser zweite allerdings musste im Wohnzimmer gefertigt werden), 
 


ihren Schneiderlehrgang absolvierte und vieles mehr. Unsere Mutter war ein Allroundtalent. Und das ohne Bezahlung. Es war die Zeit, in der ein Ehemann mit Stolz verkündete, seine Frau BRAUCHE nicht zu arbeiten. Doch bekam sie die ihr gebührende Anerkennung? Noch bis 1977 brauchte eine Ehefrau die Genehmigung ihres Mannes, wenn sie außer Haus arbeiten wollte! Undenkbar - da war ich schon 23!
 
Meine Puppenstube lädt nun weiter zum Erzählen ein ...
 
und genau das ist es ja, was uns an diesen alten Dingen so fasziniert: Wir aktivieren unsere inneren Bilder, unsere Gefühle, unsere Ängste und Sorgen, unsere Freuden der Kindheit. Wenn ich die Dinge noch einmal in die Hand nehmen kann und die Augen schließe, dann fühle ich mich wieder so wie damals, als all das für mich noch neu war und erforscht werden wollte. Ohne viele Worte. Einfach praktisch handelnd. Damit umgehend. Das Leben der Großen in Miniaturformat nachahmend.   

Nun wende ich mich wieder dem Leben in Kleinformat zu und vergleiche es gern weiter mit dem Leben unserer damaliger Vorbilder, den Eltern.
 
Um das Ganze hier aber in einem Post nicht zu langatmig zu machen, gönne ich meinen Lesern und Leserinnen jetzt mal eine Pause (mir übrigens auch, denn diese Zusammenstellungen dauern ganz schön lange - ich suche nach den passenden Bildern aus meinem riesigen Vorrat, bearbeite die Fotos, schreibe, setze die Fotos ein, korrigiere, fühle in mich hinein, denke nach, schreibe, schaue mir die Vorschau an - das kann gerne mal zwei Stunden am Stück dauern).

Bis zum nächsten Mal also ...

Worum wird es gehen?

Immer noch um die Puppenstube ... es gibt noch mehr zu erzählen.

Man erinnere sich an meinen Schreibanlass:

Auch die Puppenkleider müssen alle modischen Details besitzen und die Puppenmöbel dürfen sich – bis auf die Größe – nicht viel von richtigen Möbeln unterscheiden. Vor allem muss so eine kleine Puppenstube all die Einzelheiten eines großen Zimmers aufweisen: winzige Blumenstöcke und Beleuchtungskörper, Tischdecken, Teppiche, Vorhänge …

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