Das Thermomter zeigt 33°C! Eigentlich ist es draußen heute gar nicht auszuhalten. Trotzdem habe ich mir eine Tasse Tee mit nach draußen auf die Terrasse genommen und will ein wenig in einer Zeitschrift lesen.
Ich habe gerade das Editorial durchgelesen, als ein herrlicher Duft unter meiner Nase herzieht - HEU!
Ja, denke ich, dies ist die Zeit der Heuernte! Oder???
Da kommt mir als Enkelin einer Bauersfrau eine Idee.
Haben meine Vorfahren zu dieser Zeit das Heu geernet? Wie kann ich das herausfinden?
Ich will es gleich verraten ...
Beim
Durchstöbern des Nachlasses meiner Eltern habe ich diese historischen
Kalender gefunden. Ich habe ja zuerst laut geschimpft, als ich sah, wie
viele Jahrgänge davon noch vorhanden sind. Der älteste ist aus dem Jahr
1909, also 112 Jahre alt! Wie kann man etwas so lange aufbewahren?
Kalender, in denen die Landwirte ihre täglichen Termine festgehalten
haben - was will man damit?
Die Kalender verbreiten einen sehr unangenehmen Geruch, denn sie haben nicht nur bei meinen Eltern ihr Dasein auf dem Dachboden gefristet, sondern ganz sicher schon auf dem Dachboden des Bauernhofs, der meines Vaters Heimat war. Oh je!
Doch dann habe ich
mir die schön gestalteten Büchlein angesehen. Wie liebevoll - die
Prägung auf der Vorderseite! Ich nehme den ältesten Kalender in die
Hand, blättere ihn ehrfürchtig auf, schnuppere daran. Angesichts ihres
Alters habe ich plötzlich keinen Ekel mehr vor diesem Geruch, hat er sich
doch über ein ganzes Jahrhundert hinweg entwickelt!
Erinnerungen an Omas Kartoffelkeller steigen auf, an die alte Wäschekammer unterhalb der Treppe zum Dachboden, wo die Leinenwäsche mit der Kaltmangel geglättet wurde. Ich sehe mich als kleines Kind die Stiege zum Dachboden hochkraxeln, die Hände immer drei Stufen höher im Klammergriff, um nicht herunterzufallen. Dann ... nachdem man den Dachboden durchschritten hatte, auf dem nicht selten tote Mäuse in Mausefallen vor sich hinverwesten, kam man in einer kleinen Kammer im Giebel an, in der noch früher eine Familie gewohnt hatte, die als Mitarbeitende auf dem Hof dort ihre Unterkunft bekommen hatte. Und dort - ja, dort betrat ich die für mich größte Schatzkammer des Hofes: Das Zimmerchen mit dem alten Spielzeug meiner beiden Cousinen, die 12 bzw. 14 Jahre älter sind als ich. Ja, sie leben noch. Und manchmal erzählen sie mir von den Schätzen, die sie selbst noch heute finden. Alte Briefe von "Mutti", Fotos, Dokumente - wie die Bilder sich gleichen!
Nun ... dieser muffige Geruch bekommt natürlich angesichts solcher netten Erinnerungen, die mit Gefühlen von Spielfreude verknüpft sind, einen ganz anderen Stellenwert.
Wie fing ich dieses Blogpost an? Worum ging es eigentlich?
Richtig - es ging um landwirtschaftliche Gerüche - um Heu!
Meine Idee:
Ich
stelle jetzt hier die Eintragungen des 18. Juni - also des Datums von
heute - über insgesamt (zunächst) 15 Jahre zusammen. Die Kalender sind nicht
lückenlos vorrätig, außerdem hat meine Oma offenbar ein Jahr vor ihrem
Tod (1970) mit dem Eintragen aufgehört. Der letzte Kalender ist jedenfalls mit 1969 beschriftet. Die anfänglichen Einträge (1909) müssen von jemand anders gewesen sein. Von wem, ist mir noch nicht ganz klar. Vielleicht auch in Folge nicht von einer einzigen Person. So weit bin ich in der Familienhistorie noch nicht fortgeschritten, als dass ich dazu eindeutige Aussagen machen könnte. Das ist aber für mein heutiges Anliegen auch ohne Belang
Das wird nun ein gehöriges Stück Arbeit, die ich gerade sehr spannend finde. Was wird wohl herauskommen? Heu ... Heuernte - damals und heute ...
Der 18. Juni im Jahr |
Eintragung |
1909 Freitag |
Westwind Mutter und ich nach N.k. zur Eintragung von Wegegerechtigkeit |
1919 Mittwoch |
Warm Geheut 3 Fuder Heu eingefahren Fuder = Ladung eines zweispännigen Wagens Anbrinke in der Weide gemäht |
1920 Freitag |
Kleine Wiese gemäht Runkeln verzogen und gehackt 2 Brunnenringe für W.h. geholt |
1921 Sonnabend |
Westwind gut Wetter Rübsen eingefahren Heu abgeladen Sand gefahren Pfahllöcher zugemacht Hier mal ein Schriftbeispiel - es ist wirklich schwierig, die damalige Schrift zu entziffern: |
1922 Sonntag |
Westwind, veränderlich |
1923 Montag |
Westwind, heiter Erker ausgeschachtet Im Hafer Diesteln ausgestochen |
1924 (Schaltjahr) Mittwoch |
Westwind, schön Wetter Runkel verzogen 900 M von Stapelberg 433,? an Heine |
1925 Donnerstag |
Nordostwind, trübe Kartoffel gehackt Runkel verzogen Nach M. gefahren 30 Ztr. Hafer 20 Ztr. Weizen |
1926 Freitag |
Westwind, meißt trocken Feuerbohnenstangen gesteckt Durch die Kartoffeln gefahren Klar gemacht Runkel verzogen |
1929 Dienstag
|
10 000 Steckrübenpflanzen gezogen Auf dem großen Rosenkamp gemäht Kartoffeln geigelt und gehackt |
1931 Donnerstag |
Westwind, halb bewölkt Jauche gefahren Hof aufgeräumt Kartoffeln gehackt Diesteln auf den Weiden gemäht |
1932 Sonnabend |
Pferdekutschgeschirre geputzt Diesteln auf den Weiden gemäht 1 Fuder Heu abgeladen Kartoffeln gehackt Rest Hafer gejätet |
1933 Sonntag |
Westwind, nachm. schön Wetter Abends Feuerwehrfest |
1934 Montag |
Nordostwind, sehr warm Weiden unterteilt Draht gezogen, alte Einfriedung abgebaut Obstbäume verdedelt |
1936 (Schaltjahr) Donnerstag |
Ostwind, warm, schön Kartoffeln Acker oben gehackt Heu von Koppel IV eingefahren Heimfahrt über Hannover |
Ab 1937 – in den Vorkriegsjahren nach der Weimarer Republik wird es natürlich zunehmend prekär. Auch auf dem Lande. Das erfordert etwas mehr Vertiefung. Dem werde ich mich später widmen.
Bis hierher kann ich jedenfalls schon feststellen, dass auch damals die Heuernte – bei entsprechendem Wetter – im Juni eine Rolle spielte.
Kein Wunder, dass ich heute diesen angenehmen Geruch meiner Kindheit als Erinnerungsfessel empfand. Die weiteren Kalenderjahre (1937, 1938, 1939 und dann mit großer Lücke erst wieder ab 1958) werde ich bald folgen lassen.
Und jetzt erlaube ich mir ein schönes Abendessen (Tomaten mit Mozzarella) auf der Terrasse. Ob das Heu noch seinen Duft in der Landschaft verteilt?
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