Freitag, 18. Juni 2021

An einem heißen Sommertag - Heuernte? - Heuernte!

Das Thermomter zeigt 33°C! Eigentlich ist es draußen heute gar nicht auszuhalten. Trotzdem habe ich mir eine Tasse Tee mit nach draußen auf die Terrasse genommen und will ein wenig in einer Zeitschrift lesen.

Ich habe gerade das Editorial durchgelesen, als ein herrlicher Duft unter meiner Nase herzieht - HEU!

Ja, denke ich, dies ist die Zeit der Heuernte! Oder???

Da kommt mir als Enkelin einer Bauersfrau eine Idee.

Haben meine Vorfahren zu dieser Zeit das Heu geernet? Wie kann ich das herausfinden? 

Ich will es gleich verraten ...


Beim Durchstöbern des Nachlasses meiner Eltern habe ich diese historischen Kalender gefunden. Ich habe ja zuerst laut geschimpft, als ich sah, wie viele Jahrgänge davon noch vorhanden sind. Der älteste ist aus dem Jahr 1909, also 112 Jahre alt! Wie kann man etwas so lange aufbewahren? Kalender, in denen die Landwirte ihre täglichen Termine festgehalten haben - was will man damit?

Die Kalender verbreiten einen sehr unangenehmen Geruch, denn sie haben nicht nur bei meinen Eltern ihr Dasein auf dem Dachboden gefristet, sondern ganz sicher schon auf dem Dachboden des Bauernhofs, der meines Vaters Heimat war. Oh je!

Doch dann habe ich mir die schön gestalteten Büchlein angesehen. Wie liebevoll - die Prägung auf der Vorderseite! Ich nehme den ältesten Kalender in die Hand, blättere ihn ehrfürchtig auf, schnuppere daran. Angesichts ihres Alters habe ich plötzlich keinen Ekel mehr vor diesem Geruch, hat er sich doch über ein ganzes Jahrhundert hinweg entwickelt!

Erinnerungen an Omas Kartoffelkeller steigen auf, an die alte Wäschekammer unterhalb der Treppe zum Dachboden, wo die Leinenwäsche mit der Kaltmangel geglättet wurde.  Ich sehe mich als kleines Kind die Stiege zum Dachboden hochkraxeln, die Hände immer drei Stufen höher im Klammergriff, um nicht herunterzufallen. Dann ... nachdem man den Dachboden durchschritten hatte, auf dem nicht selten tote Mäuse in Mausefallen vor sich hinverwesten, kam man in einer kleinen Kammer im Giebel an, in der noch früher eine Familie gewohnt hatte, die als Mitarbeitende auf dem Hof dort ihre Unterkunft bekommen hatte. Und dort - ja, dort betrat ich die für mich größte Schatzkammer des Hofes: Das Zimmerchen mit dem alten Spielzeug meiner beiden Cousinen, die 12 bzw. 14 Jahre älter sind als ich. Ja, sie leben noch. Und manchmal erzählen sie mir von den Schätzen, die sie selbst noch heute finden. Alte Briefe von "Mutti", Fotos, Dokumente - wie die Bilder sich gleichen!

Nun ... dieser muffige Geruch bekommt natürlich angesichts solcher netten Erinnerungen, die mit Gefühlen von Spielfreude verknüpft sind, einen ganz anderen Stellenwert. 

Wie fing ich dieses Blogpost an? Worum ging es eigentlich?

Richtig - es ging um landwirtschaftliche Gerüche - um Heu!

Meine Idee:

Ich stelle jetzt hier die Eintragungen des 18. Juni - also des Datums von heute - über insgesamt (zunächst) 15 Jahre zusammen. Die Kalender sind nicht lückenlos vorrätig, außerdem hat meine Oma offenbar ein Jahr vor ihrem Tod (1970) mit dem Eintragen aufgehört. Der letzte Kalender ist jedenfalls mit 1969 beschriftet. Die anfänglichen Einträge (1909) müssen von jemand anders gewesen sein. Von wem, ist mir noch nicht ganz klar. Vielleicht auch in Folge nicht von einer einzigen Person. So weit bin ich in der Familienhistorie noch nicht fortgeschritten, als dass ich dazu eindeutige Aussagen machen könnte. Das ist aber für mein heutiges Anliegen auch ohne Belang

Das wird nun ein gehöriges Stück Arbeit, die ich gerade sehr spannend finde. Was wird wohl herauskommen? Heu ... Heuernte - damals und heute ...

Der 18. Juni im Jahr

Eintragung

1909

Freitag

Westwind

Mutter und ich nach N.k. zur Eintragung von Wegegerechtigkeit

1919

Mittwoch

Warm   

Geheut

3 Fuder Heu eingefahren

Fuder = Ladung eines zweispännigen Wagens

Anbrinke in der Weide gemäht

1920

Freitag

Kleine Wiese gemäht

Runkeln verzogen und gehackt

2 Brunnenringe für W.h. geholt

1921

Sonnabend

Westwind gut Wetter

Rübsen eingefahren

Heu abgeladen

Sand gefahren

Pfahllöcher zugemacht

Hier mal ein Schriftbeispiel - es ist wirklich schwierig, die damalige Schrift zu entziffern:



1922

Sonntag

Westwind, veränderlich

1923

Montag

Westwind, heiter

Erker ausgeschachtet

Im Hafer Diesteln ausgestochen

1924 (Schaltjahr)

Mittwoch

Westwind, schön Wetter

Runkel verzogen

900 M von Stapelberg

433,? an Heine

1925

Donnerstag

Nordostwind, trübe

Kartoffel gehackt

Runkel verzogen

Nach M. gefahren

30 Ztr. Hafer

20 Ztr. Weizen

1926

Freitag

Westwind, meißt trocken

Feuerbohnenstangen gesteckt

Durch die Kartoffeln gefahren

Klar gemacht

Runkel verzogen

1929

Dienstag

 

10 000 Steckrübenpflanzen gezogen

Auf dem großen Rosenkamp gemäht

Kartoffeln geigelt und gehackt

1931

Donnerstag

Westwind, halb bewölkt

Jauche gefahren

Hof aufgeräumt

Kartoffeln gehackt

Diesteln auf den Weiden gemäht

1932

Sonnabend

Pferdekutschgeschirre geputzt

Diesteln auf den Weiden gemäht

1 Fuder Heu abgeladen

Kartoffeln gehackt

Rest Hafer gejätet

1933

Sonntag

Westwind, nachm. schön Wetter

Abends Feuerwehrfest

1934

Montag

Nordostwind, sehr warm

Weiden unterteilt

Draht gezogen, alte Einfriedung abgebaut

Obstbäume verdedelt

1936 (Schaltjahr)

Donnerstag

Ostwind, warm, schön

Kartoffeln Acker oben gehackt

Heu von Koppel IV eingefahren

Heimfahrt über Hannover


Ab 1937 – in den Vorkriegsjahren nach der Weimarer Republik wird es natürlich zunehmend prekär. Auch auf dem Lande. Das erfordert etwas mehr Vertiefung. Dem werde ich mich später widmen.

Bis hierher kann ich jedenfalls schon feststellen, dass auch damals die Heuernte – bei entsprechendem Wetter – im Juni eine Rolle spielte.

Kein Wunder, dass ich heute diesen angenehmen Geruch meiner Kindheit als Erinnerungsfessel empfand. Die weiteren Kalenderjahre (1937, 1938, 1939 und dann mit großer Lücke erst wieder ab 1958) werde ich bald folgen lassen.

Und jetzt erlaube ich mir ein schönes Abendessen (Tomaten mit Mozzarella) auf der Terrasse. Ob das Heu noch seinen Duft in der Landschaft verteilt?

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