Sonntag, 3. September 2023

Briefe an einen Unbekannten -12-

Lieber Opa,

nun ist es geschehen! Eigentlich wollte ich Dir zuerst von ganz anderen Dingen schreiben, die ich auf meinem Forschungsweg in Deine Gegenwart erlebt habe. Aber ich kann jetzt nicht anders. Ich bin so begeistert, dass ich das Aktuelle vorziehen muss, bevor es seine Strahlkraft verliert: 

Ich war zum ersten Mal in meinem Leben an jener Stelle, an der Du Dich zwei Jahre lang aufgehalten hast. 

 

Ich war in Altenhagen. Ich bin von der Robert-Nacke-Straße aus auf das ehemalige Hofgelände des Langenhofs gegangen. Die Straße wurde nach Deinem damaligen Arbeitgeber benannt. Nach dem Besitzer jenes Hofes, auf dem Du 1909 bis 1911 als Zwanzigjähriger die Verwalterstelle innehattest. 

Was ich dort heute von dem Hof sehe? Nichts!

 

Den anderen Hof, auf den Du 1919 geheiratet hast, kenne ich wie meine Westentasche. Meine Oma, Deine Braut, war zu der Zeit schon Witwe und Mutter von drei Töchtern. Ihr wart ein stattliches Paar und der große Bauernhof wurde mir sehr oft zur Ferienstätte. 

 

Aber was davor gewesen ist, war immer von einem geheimnisvollen Schleier umgeben, denn Du warst nicht auf natürlichem Wege aus dem Leben geschieden. Das schreckliche Ereignis geschah im Sommer 1944, als Du mit 54 Jahren – angeblich mit der Absicht, Mäuse auf dem Stalldachboden zu erschießen – aus Versehen Dich selbst getroffen hast, weil der Stallboden morsch war. Dein Sohn – mein Vater – hat die Wahrheit bis zu seinem eigenen Tode nicht herausgefunden, aber die Familie hat sie mir danach eröffnet. Ach, könnte ich Dich heute nach Deinen Beweggründen fragen. 

Ich will mich nun aber mit diesem für Deinen einzigen Sohn wunden Punkt in seinem Leben nicht näher befassen. Er musste ab dem 15. Lebensjahr ohne Dich leben und hat seine damaligen Gefühle zu Deinem frühen Tod vor mir niemals offenbart. 

Stattdessen möchte ich Dir jetzt lieber erzählen, was ich vor zwei Tagen erlebt habe: M. N., die Heimatforscherin – ich hatte Dir schon von ihr erzählt – hatte mich darüber informiert, dass ihr Heimatverein 25-jähriges Bestehen habe und aus dem Anlass am 1. September eine Feier veranstalten würde. 

 

Dies war für mich eine Gelegenheit, den Verein kennenzulernen. Es waren sehr viele Menschen anwesend, die sich bereits zu Kaffee und Kuchen an die langen Tische gesetzt hatten. Zuerst wurde ein kleines Filmchen gezeigt, in dem Norbert Nager, die kleine Maus, durch den Ort spaziert und die besonderen Einrichtungen vorstellt, u. a. Feuerwehr, Sportplatz, Kindertagesstätte und Schule. 

Nager Norbert in Altenhagen

Es wurden interessante Reden gehalten, die mich Einblick in die rege Vereinsarbeit erhalten ließen. Auch die gemeinsame Forschungsarbeit, die M. N. und ich als „die zwei Misses Marples“ nun schon seit geraumer Zeit betrieben haben, wurde in einer der Reden gewürdigt. Der Vereinsvorsitzende schenkte mir bei einem Rundgang durch das ehemalige Schulgebäude, in dessen oberer Etage früher der Lehrer gewohnt hat, ein Rezeptbuch, das Altenhagener Bürger zusammengestellt haben. Nun bin ich endlich im glücklichen Besitz von vier verschiedenen Pickert-Rezepten. Was für ein tolles Geschenk! Ich werde sie alle Dir zu Ehren ausprobieren!

 

Und dann endlich begab ich mich konkret auf Deine irdischen Spuren …

Erwarte bald meinen nächsten Brief … für heute liebe Grüße, Deine Enkelin Ulrike

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