Freitag, 23. Juli 2021

Spielen in den 50er- und 60er-Jahren - Teil 3 B - Die Puppenstube

Um an der letzten Folge neu anzusetzen:

Auch die Puppenkleider müssen alle modischen Details besitzen und die Puppenmöbel dürfen sich – bis auf die Größe – nicht viel von richtigen Möbeln unterscheiden. Vor allem muss so eine kleine Puppenstube all die Einzelheiten eines großen Zimmers aufweisen: winzige Blumenstöcke und Beleuchtungskörper, Tischdecken, Teppiche, Vorhänge
 
Nun hatte ich auf dem Terrassentisch alle geputzten Möbelchen einer Fotosession unterzogen, die Trödler waren wieder aus dem Haus, nachdem sie uns sogar Gartentisch und -stühle  weg- und zum späteren Verkauf mitgenommen hatten. Die Trauerrednerin verabschiedete sich ... und ich freute mich auf die Zeit auf dem Dachboden, wo ich nun die Möbel in die vorher grob geputzte alte Puppenstube setzen wollte.
 
 
 
Das war schnell getan.
 
Ich schaute mir das Ergebnis aus heutiger Sicht als Erwachsene an. Diese Retrotapete! Der Gardinenstoff aus den 50er-Jahren! Sogar einen echten Linoleumfußboden hatte meine Puppenstube. So wie wir ihn damals in der ganzen Wohnung hatten. Der Bohnerbesen hatte daher seinen festen Platz im Besenschrank. Mein Bruder machte mich darauf aufmerksam, dass es gar kein Besen sei. Stimmt ja!
 
Als wir klein waren, wurde der Fußboden fast täglich gefegt. Wo Kinder leben, fallen viele Krümel auf den Boden. Er wurde "nebelfeucht" gewischt zur Entfernung etwaiger Flecken. Und da er bei diesem Prozess nach und nach stumpf wurde, musste er immer wieder mit Bohnerwachs versiegelt und anschließend fleißig gebohnert werden. 
 
Ach, wie sehr erinnert mich das an meine erste Schule, in der mir beim Betreten des Gebäudes dieser Bohnerwachsgeruch von den Fluren und aus allen Klassenräumen entgegenströmte! Schule roch immer nach Bohnerwachs.

Einen Bohnerbesen habe ich doch tatsächlich nicht mehr im Haus meiner Eltern gefunden, obwohl sie sonst ja wirklich alles aufgehoben haben. Vermutlich waren sie stolz, in ihrem eigenen Haus überall Teppich zu haben, den man mit dem guten Vorwerksauger pflegen konnte. Ein Teppichboden - auch der von Vorwerk - fürs ganze Leben. Hochflorig, hochwertig, trittfest und einfach schön. Da wurde dann noch ein Berberteppich obendrauf gelegt, während die Ledersessel mit Decken geschützt wurden. Alles wurde luxuriöser in den 70ern!
 
 
Wie primitiv war dagegen doch die Einrichtung meiner Puppenstube! Hier wurde noch gefegt und gebohnert. 
 
Nun war also alles eingerichtet. Zumindest mit den Utensilien, die noch vorhanden waren. Und dann ... ja, dann ... wollte ich die Bewohner ins Haus einziehen lassen. Meine Biegepüppchen!!! 
 
Und die sahen etwa so aus wie diese:
 
 
Quelle: https://www.puppenhaus-welt.de/
 
 
Ich habe sie geliebt, weil sie eben alles darstellen konnten, was mir gerade in den Sinn kam: Die Geschirr abwaschende Mutter am Spülstein, den Vater, der lässig in seinem Cocktailsessel vor seinem Radio saß und Musik hörte, die zwei Kinder, die am Küchentisch saßen und Schularbeiten machten. Ja, das Leben war damals sehr geschlechterspezifisch. Zu der Zeit war das alles gut und richtig.
 
Ich freute mich also darauf, eine Spielszene darzustellen (vielleicht sogar mit einer der heutigen Zeit angepassten Rollenverteilung) und war ganz gespannt auf Papa, Mama und die zwei Kinder. Die müssten doch auch in dem Karton mit dem (mit dem Schriftzug "Puppen" versehenen) Klebeband sein. Das ich ja schon vor der Fotosession mit den Möbelchen sorgfältig entfernt und weggeworfen hatte. Ein kurzer Blick auf den ganz oben liegenden Strampelsack meiner Babypuppe Kläuschen hatte mir die Gewissheit gegeben, in diesem Karton alles wiederzufinden, was zu meinen Puppen gehörte. 
 
Nur ... man erinnere sich: 
An diesem Tag waren noch mehr Menschen im Haus. Was zu einem kleinen Verhängnis führte, ...

Ich drehte mich also nach dem Einrichten der am Boden stehenden Puppenstube um, wollte nach dem hinter mir vermuteten Karton greifen - griff aber ins Leere. Nanu? Hier hatte doch eben noch der große Puppenkarton gestanden? Ich guckte in alle Richtungen - nichts! Er war einfach nicht mehr da. Mir schwante Trauriges ... die Trödler hatten ihn doch nicht etwa mitgenommen? Den Karton mit all meinen schönen Puppen, auf deren Wiedersehen ich mich so sehr gefreut hatte? Ich suchte noch den ganzen Bodenraum ab, fand zwar in all dem herumstehenden Krempel alles Mögliche, nur nicht mehr den von mir ersehnten Karton .

Shit happens, dachte ich, ja, hier soll ich wohl mal wieder das Loslassen lernen, (was meine Eltern so gar nicht konnten).
 
So blieb das Stübchen unbewohnt und ich wende mich jetzt wieder der Einrichtung zu.
 
Alle Lampen konnten - wie im echten Leben - ein- und ausgeschaltet werden. Auf dem kommenden Foto ist das Kabel an der Tütenstehlampe zu erkennen, das man mit einem kleinen Stecker an die Hauselektrik anschließen und mit einem Schalter anknipsen konnte. Dieser befindet sich vorne rechts an der Wand. Genau hinschauen: Es ist ein weißer Schalter mit einem winzigen Zugbändchen.


 
Und ich höre mich selbst noch sagen "Och, wie niedlich!", als ich die Puppenstube geschenkt bekam, an der mein Vater viele Stunden gebastelt hatte.
 

Die kleinen Sessel empfinde ich heute eher wie Strandliegesessel in einer südländischen Cocktailbar denn als bequeme Wohnzimmersessel. Ob es keine anderen gab? Oder sollten sie dem Cocktailsessel entsprechen, der auch im damaligen Wohnzimmer stand?
 
 
Hier der real existierende Cocktailsessel im Modell - oh, schon wieder ein Aufhänger für ein neues Thema: Dem Inschinör ist nichts zu schwör (Mein Vater und seine Bastelleidenschaft). Das kommt noch ... versprochen!
 
 

 
Nun habe ich inzwischen die im Nachlass gefundenen Möbelprospekte studiert - und siehe da! Auf einem Foto ist GENAU dieses Modell von Wohnzimmersitzmöbel zu sehen. Hier der Beweis:
 
Aus einem Möbelprospekt der Firma String - im Hintergrund die kunstuerheberrechtlich geschützten Stringregale
 
Es war ja überhaupt die Zeit der String-Möbel, die sich durch Leichtigkeit und Durchsichtigkeit auszeichneten. 
 
Von außen hatte mein Vater ein Blumenfenster angebaut. Auch das war in den 50er-Jahren in Mode gekommen. Wer etwas auf sich hielt, baute ein solches Fenster in sein Eigenheim. Sind sie nicht schön, die gedrehten Dekostangen in der Ecke?
 
 
 
Nachweisen kann ich diese architektonische Besonderheit wiederum mit einem Büchlein aus der damaligen Zeit. Es wurde verlegt von der "Westfälischen Landes-Bausparkasse" und enthält Ideen zum Hausbau in Fotos und Texten. Daraus drei Scans:
 



Diese Fenster wurden aus der Außenbegrenzung des Hauses herausgezogen und innen baute man einen Trog für Blumen davor, der in den Raum hineinragte. Der ganze Trog wurde mit Erde gefüllt und die Blumen pflanzte man direkt hinein. So sparte man sich Töpfe und Umtöpfe und das Fenster bekam den Charakter eines kleinen botanischen Gartens.
 
Und nun gehört ans Ende dieses Blogposts natürlich noch ein historisches Foto, das alles zeigt, was damals noch zu meiner Puppenstube gehörte. Ich lasse dieses Foto mal als eine Art Wimmelbild für sich sprechen. Anklicken lässt es in voller Größe erscheinen. Da ist richtig Leben drin!
 

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