Freitag, 13. Oktober 2023

Fernseeen? – Issam piepen!


Unser erster Fernseher stand im heiligen Wohnzimmer. Heilig? Warum heilig? Heizöl war teuer für eine junge Familie in den 50er-Jahren. Eine Zentralheizung gab es nicht. Und wenn irgendwo geheizt wurde, dann in der Küche. Dort stand der Kohleofen, dort fand das alltägliche Leben statt. Kochen, essen, abwaschen und dazu das gehasste Abtrocknen, spielen, Hausaufgaben machen, nähen, bügeln. Mutti und ihre zwei Kinder, bis Vati abends von der Arbeit nach Hause kam.

Aber am Sonntag! Der Sonntag, ja, das war damals noch der Ausnahmetag. Heilig wie das Wohnzimmer, das die ganze Woche über kalt blieb. Aber am Sonntag wurde es geheizt. Mit einem Ölofen, der mich fast umgebracht hätte – aber das ist eine andere Geschichte.

Endlich kam dann der erste Fernseher! Ein dicker fast würfelförmiger Quader aus braunem Holz mit einem in allen vier Ecken abgerundeten Bildschirm in Eitergrün, jedenfalls, so lange er nicht lief.

 

Wenn er aber lief …

zuerst kam ein eklig in die Ohren stechender Piepton. “Fernseeen? – Issam piepen!”, jubelte mein kleines Bruderherz. Er war der Erste, der’s merkte. Er war drei und so fixiert auf dieses Geräusch, das lustig-bewegte Bilder versprach – schöner als jedes Bilderbuch, das Mutti oder Schwesterherz ihm vorlasen – dass seine netten Kinderaugen bei dem Wort „piepen“ weit aufgingen und seine Augen zu leuchten begannen. Kurz darauf spiegelte sich in ihnen das Testbild der Flimmerkiste. Spätestens dann waren wir vom Bildschirm nicht mehr fortzubewegen. Nichts konnte schöner sein.

1960 war’s und für uns nur erlaubt oder nicht erlaubt. Wir mussten fragen. Ich begann gerade erst mit dem Lesen und mein Brüderchen konnte in der HÖRZU bestenfalls die Bilderchen erkennen, die auf das Erlaubte hinwiesen.

Es gab “Lassie”, den wunderschönen Langhaarcollie, der jede Gefahrensituation erkannte und sofort Hilfe holte. Es gab die Augsburger Puppenkiste mit den “Mumins”, angesagt von Hilde Nockerl, die wusste, dass auf der anderen Seite des Bildschirms kleine Kinder saßen. Später gab es “Sport, Spiel, Spannung” mit Klaus Havenstein, wovon mich der SPORTteil nicht die Bohne interessierte. Das Schönste daran waren die SPANNUNGseinlagen mit “Dick und Doof”. Wie gut erinnere ich mich an das in witziger Mimik dem HÖRZU-Mecki ähnelnde Gesicht des Klaus Havenstein. Dieser war zugleich Mitglied der “Lach- und Schießgesellschaft”, von der keine Sendung verpasst wurde. Die durften wir auch sehen, wenn wir auch die politischen Witze, die unsere Eltern in Lachsalven ausbrechen ließen, meist nicht verstanden. Wenn ich die Augen schließe, kann ich meinen Bruder und mich gemütlich in je einem andersfarbigen und mit Boucléstoff bezogenen Sessel sitzen sehen, mit angezogenen Beinen und beide in kuschelige blaue Bademäntel gehüllt, auf denen gelbe Kreise lustig umeinander wirbelten. Natürlich hatte Mutti sie genäht.

Erlaubt waren auch die Familienshows am Samstagabend, etwa Hans-Joachim Kulenkampffs Quizsendung EWG (Einer wird gewinnen). Wer ihn als Kind sah, wird ihn wohl nie vergessen. Diesen charmanten, über Trauriges hinweglächelnden Moderator der beginnenden Fernsehära!

Das Tollste für uns Kinder war dann aber die Science-Fiction-Serie “Raumpatrouille Orion”, die wir mit allerhand kreativ umgestalteten Requisiten im Kinderzimmer nachspielten.

Im Laufe der Jahre vollzog sich ein sehr rascher Wandel im Konzept des Fernsehangebots. Und als fast 70-Jährige frage ich mich heute, was wohl ein Kind der Gegenwart in 60 Jahren von den Fernseheindrücken seiner Kindheit erzählen wird? Wird es sich bei der unüberschaubaren Vielfalt noch an einzelne Sendungen erinnern können? Werden Menschen der Jetztgeneration sich noch darüber austauschen, so wie wir es heute tun?

Only time will tell … und ich werde mich nicht mehr daran beteiligen. Das ist ganz sicher. Den Ausruf „Fernseeen? – Issam piepen!“ werde ich wohl bis zum Ende meines Lebens im Ohr haben, auch wenn der Fernseher heute gar nicht mehr piepen kann.

 

© Ulrike Nikolai 15.10.2021

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