Fotos anklicken ... deutlicher sehen!
Im Jahr 2023 ...
Wozu bekommt man eigentlich Quittungen?
Diese Frage stellt sich mir beim Fund etwas muffig riechender, sorgfältig sortierter Quittungen aus meinem Elternhaus. Hunderte oder gar Tausende Papierzettelchen mit Aufdrucken mir bekannter Geschäfte aus der Heimatstadt meiner Kindheit fallen mir entgegen, als ich einen der Kartons öffne, die ich während der Entrümpelungsaktion mitgenommen habe, um sie zuhause in Ruhe zu studieren. Ein kurzer Blick unter den Deckel scheint mir etwas zu Privates zu offenbaren, um es einfach in der Entrümpelung aufgehen zu lassen.
Seit zwei Jahren bleibt so der Karton ungeöffnet in meinem Keller liegen und jetzt endlich finde ich die Zeit fürs genauere Studium seines Inhalts.
Was mögen meine Eltern nur mit dem Aufheben sämtlicher Quittungen ihres Lebens bezweckt haben?
Ich studiere die Quittungen durch Herausgreifen einzelner Exemplare und stelle fest, dass es sich inhaltlich überwiegend um Anschaffungen dreht. Quittungen für Lebensmittel und anderen täglichen Bedarf fehlen. Haben sie tatsächlich alles aufgehoben, um im Fall der Reklamation nachweisen zu können, wann sie was wo gekauft haben?Ich selbst halte das ja genauso, allerdings nehme ich mir die Dokumente in unregelmäßigen Abständen immer wieder vor und sortiere radikal aus. So bleibt das Gesammelte überschaubar und braucht weniger Platz. Wie eine Sintflut quellen mir nun Erinnerungen entgegen, als ich den Inhalt des Kartons weiter studiere. Nicht zu fassen! Was ich darin finde, lässt meine ganze Kindheit und Jugend an mir vorbeidefilieren. Aber auch Dienste finde ich in Quittungsform dargestellt. Ich führe ein inneres Gespräch mit der Sammlung:
U: Unfassbar! Wie lange sitzt ihr denn da schon unbeachtet in eurem muffigen Karton?
QS (Quittungsstapel): Das kannst du selbst herausfinden. Zumindest, wie alt eine jede von uns ist.
Okay. Achtung … ich greife mal in eure Mitte. Aha ... diese Waldwirtschaft ... am 3.5.70? Da war doch mein Bruder 14 Jahre alt. Ach ja, seine Konfirmation. Und du bist 53 Jahre alt? Hast dich aber gut gehalten!
Schau mal genau hin, ich kann dir noch mehr erzählen.
Elf Personen haben an der Feier teilgenommen. Ich muss mal überlegen. Mein Bruder und ich, unsere Eltern, die zwei Patenonkel, Opa und seine zweite Frau, Oma. Zwei fehlen noch.
Das kannst du auch noch herausfinden. Es gibt Fotos.
Stimmt ja … danach werde ich mal recherchieren.
Interessant finde ich noch, was damals bei einer Konfirmation so verzehrt und getrunken wurde: Es gab 11 mal Mittagessen zu insgesamt 132 DM. Pro Essen 12 DM. Das war damals viel Geld für meine Eltern. Dann: 2 Flaschen Sekt, 3 Flaschen Wein, 1 Rotwein, 1 Martini für 9 Erwachsene. Bedeutet ca. ½ Flasche Alkohol pro Person. Keine Trinkorgie also. 10 Portionen Kaffee. Mit dem wurde sparsam umgegangen. Wobei ich davon ausgehe, dass eine Portion ein Kännchen war.So ist es. Nun der Kuchen …
Das ist jetzt aber interessant. Lass mal sehen.
9 Stck Sahnetorte à 1,70 DM, 7 Stck Obstkuchen à 1,40 DM.
Wenn ich das mit heutigen Preisen vergleiche … oha. Ich müsste den DM-Betrag ja auch noch halbieren. Also ein Stück Sahnetorte 85 Cent und ein Stück Obstkuchen 70 Cent. Dafür verdienen wir heute aber auch viel mehr.
Stimmt. Deswegen bedeutet es eigentlich nichts. ALLES hat sich ja geändert. Ich gebe dir nur ein Zeugnis der früheren Zeit.
Genau, Zeitzeichen seid ihr alle. Dann sehe ich auch noch den Betrag für die Deko. Na, die muss aber spärlich gewesen sein. 8 DM, umgerechnet 4 €. Dafür bekäme man heute vielleicht zwei Rosen. Wie ich sehe, waren es Narzissen - vielleicht direkt aus dem Garten der Waldwirtschaft geschnitten. Es war ja zur Osterzeit. Und dazu noch ein paar Freesien. Gut - war interessant mit dir, aber nun will ich mich mal an jemand anders wenden.
Q2/Q3: Nimm uns! Wir können dich zum Nachdenken bringen.
Aha. Was gibt es denn so Interessantes an euch?
Wir sind quasi Geschwister.
Wieso das?
Schau mal, wer uns ausgestellt hat.
Firma W...d-Lederwaren. Ihr dokumentiert den Kauf von zwei Ranzen. Aha.
Schau genauer hin!
Das Datum! Es ist derselbe Tag!
Wirklich?
Nein, stimmt gar nicht. Es ist dasselbe Datum mit genau drei Jahren Abstand.
Fällt dir dazu was ein?
Ja, natürlich! Mein Bruder und ich bekamen zur Einschulung jeder einen Lederranzen. Er hieß für uns Tornister. Ha ha … als Erstklässlerin schrieb ich damals „mein Tonnüster“, was bei meiner Mutter einen Lachanfall auslöste: „Der hat doch mit Nüstern nichts zu tun!“ Ich fühlte mich ausgelacht. Das geschah oft. Dass Erwachsene nicht begreifen wollten, dass man als Kind das Schreiben doch erst lernen muss. Aber schon interessant, dass die Ranzen zum gleichen Datum gekauft wurden. Die Einschulung war damals ja noch nach den Osterferien. Da haben unsere Eltern uns aber früh vorbereitet.
Und sonst fällt Dir gar nichts auf? Der Preis?
Die Quittung von 1960 zeigt einen Preis von 15,50 DM. Was? Mehr hat so ein Lederding damals nicht gekostet?
Das meinen wir gar nicht …
Mal sehen … der andere Ranzen … 1963 … drei Jahre später. Was? 28,50 DM! Das ist ja fast das Doppelte! Da könnte ich jetzt aber spekulieren. Mein Bruder hat einen doppelt so teuren Ranzen bekommen? Der ist doch bestimmt nach drei Jahren nicht doppelt so teuer gewesen. Das würde ja bedeuten, dass …
Kannst du dich noch an beide Ranzen erinnern?
An meinen ja, an den von
meinem Bruder nicht. Amüsant. Ich werde ihn mal fragen.
Ich schaue mal weiter … ach nee, mein Puppenherd! Na, der war aber teuer!
Stimmt, aber der war ja auch elektrisch. 33,95 DM. Da siehst du mal, dass deine Eltern mit ihrem noch ziemlich niedrigen Gehalt deines Vaters ganz schön spendabel waren.
Und dazu gehörte dann ja auch noch das kleine Rezeptbüchlein, das ich auf dem Dachboden bei den Spielzeugsachen gefunden habe. An den Herd habe ich noch einige Erinnerungen. Ach wisst ihr was? Ich wollte jetzt einen Kuchen backen und weil ich hier mit euch herumsitze, komme ich gar nicht dazu. Aber das kleine Rezeptbüchlein werde ich ganz bestimmt nicht zu Rate ziehen. Soo langweilige Rezepte!
Also - danke für die netten Erinnerungen. Aber nun dürft ihr gehen. Tschüss!
Irgendwie bin ich meinen Eltern doch dankbar fürs Aufheben. Diese Erinnerungsgeschichte würde es nicht geben. Ich greife den ganzen Stapel und entsorge ihn in einem Spezialcontainer, den wir uns von einer Spezialfirma haben kommen lassen ... und seufzend denke ich daran, wie es wohl den Menschen gehen wird, die unseren Nachlass eines Tages durchschauen müssen. Sie werden wohl gleich radikaler vorgehen. Es werden nicht unsere Kinder sein ... die gibt es nämlich nicht.